
Foto ©Geoffroy Schied
Die Neuproduktion von Káťa Kabanová, die diesen Monat von der Bayerischen Staatsoper produziert wurde, war sicherlich eine der mit größter Spannung erwarteten Aufführungen dieser Saison. In den letzten Jahrzehnten hat sich Leós Janáčeks Opernproduktion ihren verdienten Platz auf den großen Bühnen erobert. Zu Recht, muss man sagen, denn wenn man von der Oper des 20. Jahrhunderts spricht, kann man den außergewöhnlichen mährischen Komponisten, der erst im Alter von 62 Jahren durch die Aufführung von Jenufa am Nationaltheater in Prag berühmt wurde, auf keinen Fall ignorieren. Angetrieben von diesem Erfolg schrieb Janáček nach dem Ersten Weltkrieg innerhalb weniger Jahre vier Partituren, die zu den großen Meisterwerken der Melodramgeschichte gezählt werden müssen: Káťa Kabanová, Das schlaue Füchslein, Die Sache Makropoulos und Aus einem Totenhaus. Werke von exquisiter musikalischer und theatralischer Handwerkskunst, mit raffinierter und hochmoderner Schreibweise.

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Wie bei allen seinen großen Werken wählte Janacek als Vorlage für das Libretto von Káťa Kabanová eine hochemotionale Handlung, die auf einem Drama des russischen Schriftstellers Alexandr Ostrowski mit dem Titel Grosa (Der Sturm) basiert. Dreh- und Angelpunkt der gesamten Geschichte ist die Beschreibung des Provinzlebens im Russland des 19. Jahrhunderts und darin die Geschichte einer Frau, die zwischen dem Respekt vor gesellschaftlichen Konventionen und dem Streben nach einem emotional und sozial freieren Leben hin- und hergerissen ist. Káťa Kabanová, die Protagonistin, ist daher von denselben Gefühlen beseelt, die das Leben von Emma Bovary und Anna Karenina durcheinanderbringen, aber auch, mutatis mutandis, von Katerina Ismailowa, die im Gegensatz zu den anderen beiden den Weg des Verbrechens wählt, um sich aus der bedrückenden Situation zu befreien, in die sie gezwungen ist.

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In seiner Neubearbeitung des Dramas zeigt Janáček die Qualitäten eines großen Theatermannes und konstruiert einen packenden und intensiven dramatischen Verlauf. Die Geschichte entfaltet sich in einer Atmosphäre wachsender Spannung und starker emotionaler Wirkung, unterstützt von Musik von absolut faszinierender Intensität, mit raffinierten und ansprechenden schriftstellerischen Lösungen, sowohl aus instrumentaler als auch aus vokaler Sicht. Der gesamte Schlussteil der Oper, vom Sturm bis zu Káťas Selbstmord, gehört zusammen mit Emilia Martys Monolog, der Die Sache Makropoulos abschließt, zu den größten Errungenschaften von Janáčeks Theater und zugleich zu den bedeutendsten Seiten des Musiktheaters des 20. Jahrhunderts.

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In Deutschland wurde Janáčeks Größe vielleicht früher erkannt als in anderen Ländern. Im Falle von Káťa Kabanová fand die Erstaufführung außerhalb der Tschechoslowakei im Dezember 1922 in Köln unter der Leitung von Otto Klemperer statt, ein Jahr nach der Weltpremiere und wenige Tage nach dem triumphalen Erfolg der Uraufführung in Prag. Krzysztof Warlikowski, der im vergangenen Sommer mit seiner Inszenierung von Le Grand Macabre bei den Münchner Opernfestspiele einen enormen Erfolg feierte, hat eine sehr schlanke und essentielle Bühnengeschichte geschaffen, ohne die Skandalexzesse, die viele seiner früheren Produktionen kennzeichneten. Seine Inszenierung wurde vor allem für ihren wirkungsvollen und zurückhaltenden Ton geschätzt, der die traurige und beklemmende Atmosphäre der Handlung sehr gut umriss.

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Auf der Bühne lieferte eine sorgfältig ausgewählte Sängerbesetzung eine Darbietung von hervorragendem stimmlichen und schauspielerischen Niveau. Corinne Winters, eine 42-jährige Sopranistin aus Maryland, die diese Rolle zwei Sommer lang mit großem Erfolg in Salzburg sang, spielte die Titelrolle mit erstklassigen stimmlichen und dramatischen Qualitäten. Außer einem Stimminstrument von wunderschöner Qualität hinsichtlich Farbe und Ausdehnung, das technisch sehr gut beherrscht wird, verfügt die amerikanische Sängerin über eine interpretatorische Persönlichkeit von absoluter Bedeutung und hat alle Nuancen der Figur dieser Art slawischer Emma Bovary wirkungsvoll wiedergegeben, was in einer mit außerordentlicher Intensität interpretierten Schlussszene gipfelte. Auch die junge kroatische Mezzosopranistin Erna Pongrac lieferte eine sehr gute Leistung ab und brachte Warvaras erotische Ladung und sentimentale Leichtigkeit sehr wirkungsvoll zum Ausdruck. Violeta Urmana stellte ihr Charisma erneut in ihrer Bühnen- und Gesangsdarstellung der unterdrückerischen Schwiegermutter Kabanicha unter Beweis. Unter den Männerstimmen war Pavel Černoch ein Boris mit schöner Stimme und sehr konzentrierter Phrasierung, ebenso wie der andere Tenor James Ley, der ein sehr wirkungsvolles szenisches und stimmliches Porträt des Verführers Kudrjasch, Warvaras Liebhaber, entwarf. Sehr gut waren auch die beiden Charaktertenöre, nämlich John Daszak in der Rolle des charakterschwachen und von seiner Mutter dominierten Tichon, Kaťas Ehemann, und Thomas Mole in der Rolle des Kuligin, dem vor allem in der Eröffnungsszene der Oper eine gewisse Bedeutung zukommt. Angemessene war auch die Leistung des jungen Schweizer Basses Milan Siljanov, der aus dem Opernstudio der Bayerischen Staatsoper kam und hier Dikoj, Boris‘ Onkel, spielte, der seinem Neffen gegenüber anmaßend und tyrannisch ist. All dies wurde durch das Dirigat von Marc Albrecht, einem 61-jährigen Musiker aus Hannover, der international vor allem als namhafter Interpret des modernen und zeitgenössischen Repertoires bekannt ist, hervorragend hervorgehoben. Er behielt die Entwicklung der dramatischen Handlung perfekt im Griff, bewies ein ausgezeichnetes Stilbewusstsein und entlockte dem Bayerischen Staatsorchester raffinierte Farben und Klangfarben von großer Schönheit, das an diesem Abend ebenso seine hohe künstlerische Qualität unter Beweis stellte wie der von Franz Obermair für diese Inszenierung einstudierte Chor. Am Ende ein triumphaler Erfolg für alle Darsteller in einem fast ausverkauften Theater, für eine Produktion auf einem Niveau, das eines großen internationalen Theaters absolut würdig war.
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